Ansprüchen entsprechen

Liebe Zuhörer*innen, in meiner Rede soll es um die Ansprüche und Erwartungen
gehen, die in unserer Gesellschaft jeden Tag an jeden einzelnen Menschen gestellt
werden.
Wenn man mich sieht, ist relativ offensichtlich, dass ich, zumindest äußerlich, nicht
den Erwartungen der Gesellschaft entspreche. Ich habe zum Beispiel nicht die
reinste Haut und keine „perfekte Figur” auch wenn eigentlich klar sein sollte, dass
es so etwas nicht gibt, aber so ist das leider immer noch in den Köpfen vieler
Menschen verankert. Ich kann auch ziemlich nervig sein, aber mal ehrlich: Wenn alle
ins gesellschaftliche Bild passen würde, wäre die Welt doch langweilig. Wir
Menschen, und gerade wir Jugendliche, sollten uns keine Gedanken darüber
machen müssen, ob wir zu dick, zu dünn, zu klein, zu groß, zu laut, zu leise oder zu
langweilig sind. Aber tagtäglich sind wir Erwartungen und Ansprüchen ausgesetzt,
die auf Dauer einfach nicht erfüllbar sind. Diese gibt es nicht nur in der Gesellschaft
im Allgemeinen, sondern es gibt ganz viele verschiedene Situationen und Orte, bei
denen uns ein Idealbild eines Menschen vermittelt wird, dem wir eigentlich gar nicht
entsprechen können. Und trotzdem versuchen wir immer wieder diesen
Anforderungen gerecht zu werden, was uns oft gar nicht mehr auffällt.
Wenn wir erst einmal bei der Gesellschaft als Ganze bleiben, gibt es schon sehr viel
was ich an Erwartungen aufzählen kann. In den Augen der Allgemeinheit müssen wir
einen guten Schulabschluss und eine gut bezahlte Arbeit haben, selbst wenn sie
uns keinen Spaß macht. Wir müssen unabhängig und erfolgreich sein, uns sozial
engagieren und uns in die endlose Kette von Individuen einreihen, die am Ende
doch nur eine große Masse bildet und im Einzelnen nicht gesehen wird. Wir sollen
„normal” sein, ohne auffällige Kleidung, Sexualität oder Weltanschauung. Wir sollen
gesund sein – aber nur körperlich, psychisch ist es egal, solange wir es schaffen
unsere Probleme zu verstecken und nicht aufzufallen. Laut der Gesellschaft können
wir, als Jugendliche, zum Beispiel angeblich noch lange nicht sagen, was für eine
sexuelle Orientierung wir haben, oder wer wir sind, aber wir sollen jetzt sofort
wissen, was wir später machen werden und wo wir hin wollen.
Das ergibt doch keinen Sinn!
In der Schule ist es ähnlich. Wir müssen quasi alles gleichzeitig können. Man hört
Sätze, wie: „Stellt euch nicht so an, das geht ganz schnell – in einer halben Stunde
ist das erledigt”. Dabei wird allerdings oft vergessen, dass alle Schüler:innen
unterschiedlich schnell arbeiten, wir nicht nur ein Fach haben, in dem wir Aufgaben
bekommen und wir nebenbei auch noch für Tests und Klassenarbeiten lernen
müssen. Außerdem haben wir ein Privatleben, in dem wir uns Zeit für Freund:innen,
Familie, Hobbys oder auch einfach für uns selbst und unsere Psyche nehmen
wollen. Während man also versucht, das alles unter einen Hut zu bekommen und
dabei nicht komplett durchzudrehen, hat man immer noch die Erwartungen des
Schulsystems im Hinterkopf, in jedem Fach Leistung zu bringen und den Druck und
den Stress einfach zu ignorieren. Wir werden auch ständig beobachtet und
bewertet. In Fächern, wie Sport, Kunst oder Musik ist das meiner Meinung nach am
Schlimmsten. Das sind Fächer für die man ein gewisses Talent oder zumindest
Interesse mitbringen muss. Wir können Töne treffen, Zeichnen oder Bodenturnen
nicht auswendig lernen, wie physikalische Formeln oder Redestrategien. Wir werden
beobachtet und bewertet für etwas, das wir nicht so machen können, dass es den
Ansprüchen der Lehrer:innen entspricht. Wenn ich stolz auf ein Kunstwerk von mir
bin, endlich einen Rhythmus verstanden habe oder meine Bestzeit im Sprint
geschlagen habe, kann ich trotzdem eine 4 dafür bekommen, nur weil es dem
Standart nicht entsprochen hat, oder verglichen mit anderen einfach nicht gut
genug war. Wir werden, gerade in diesen Fächern, immer wieder bloßgestellt und
meiner Ansicht nach auch vorgeführt bei etwas, das uns unangenehm sein kann
und dessen Bewertung unserem Selbstwertgefühl nicht gerade gut tut.
Die Schule ist schon ein sehr öffentlicher Raum, aber der öffentlichste Ort
heutzutage ist wahrscheinlich das Internet. Man kann davon halten was man will.
Ob es nun informativ oder unterhaltend ist – für die geistige Gesundheit und die
Selbstwahrnehmung Jugendlicher ist es definitiv nicht fördernd. Ich weiß das, und
trotzdem bin ich jeden Tag irgendwo in den sozialen Medien unterwegs. Ich sehe
dort haufenweise schlanke Frauen mit ihrem „perfekten Leben”. Sie scheinen keine
Probleme zu haben und sehen immer toll aus. Ständig bekomme ich Werbung
angezeigt für die neuesten Diät-Methoden, Fitness-Workouts oder irgendwelche
Produkte, die einem gegen Akne, Cellulite oder Dehnungsstreifen helfen sollen. Auf
jedem zweiten Bild sieht man Skinny Models mit perfekten Zähnen und breitem
Lächeln. Fast alles, was wir dort zu Gesicht bekommen ist verfälscht und gelogen.
Auch die Leute, die sich dort präsentieren, haben ihre ganz persönlichen Probleme,
aber das sehen wir nunmal nicht und fangen an, an uns selbst zu zweifeln und uns
mit diesen Idealbildern zu vergleichen. Wie in der Schule, sind wir auch im Internet
den Ansprüchen ausgesetzt, immer alles richtig machen zu müssen, zu
funktionieren und die Erwartungen derer zu erfüllen, die uns und unsere
Vorgeschichten gar nicht kennen.
Neben all diesen sehr öffentlichen gibt es aber auch sehr private Orte, an denen
Erwartungen an uns gestellt werden. Auch wenn es bei mir persönlich nicht der Fall
ist, habe ich doch viele Freund:innen, die von zu Hause Druck bekommen, gute
Zensuren zu schreiben, bei Familienfeiern nicht aufzufallen, hineinzupassen oder
auch ein Vorbild für jüngere Familienmitglieder zu sein. Oft wird erwartet, dass die
eigenen Kinder den Familienbetrieb übernehmen oder möglichst schnell für
Enkelkinder sorgen. Aber das ist nunmal nicht der Weg, den Alle mit ihrem Leben
gehen wollen. Vielleicht wollen sie lieber reisen, die Welt entdecken, Neues
ausprobieren, anstatt das gleiche einförmige Leben zu führen, wie die Generationen
vor ihnen.
Auch im Freundeskreis haben Viele Probleme mit zu erfüllenden Erwartungen. Oft ist
Gruppenzwang ein Thema, zum Beispiel bei Alkohol, Drogen oder den neuesten
Trends. Es ist manchmal einfach schwer gegen den Strom zu schwimmen und sich
von den Angewohnheiten, denen vielleicht die meisten Freund:innen nachgehen,
abzugrenzen. Häufig bilden sich dann Gruppen in denen man einfach nicht integriert
ist und man hat das Gefühl etwas zu verpassen oder ausgeschlossen zu werden,
auch wenn das gar nicht die Intention der Anderen war.
Man sieht, auch im näheren Umfeld gibt es Erwartungen, denen man entsprechen
muss oder will, aber die persönlichsten Ansprüche, die an einen gestellt werden,
sind immer noch die, die man sich selbst macht. Auch darüber könnte ich noch
einiges erzählen, aber ich glaube, es ist besser, wenn sich über Selbstansprüche
jede und jeder selbst Gedanken machen kann. Mir ist nur wichtig zu sagen, dass es
egal sein sollte, ob man den Ansprüchen der Gesellschaft entspricht.
Harry Styles hat vor ein paar Jahren etwas gesagt, was mich sehr zum Nachdenken
angeregt hat. Er sagte: „If you’re happy doing what you’re doing, then nobody can
tell you, you’re not successful.” Oder für die von uns, die nicht so begabt in
Englisch sind: „Wenn du glücklich bist mit dem was du machst, kann dir niemand
sagen, dass du nicht erfolgreich bist.” Also: Seid glücklich, seid die beste Version
von euch, die ihr sein könnt und macht euch nicht zu viele Gedanken darüber, was
Andere denken könnten.

 

Josephine Buchholz, 10a

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